Die Vielfalt menschlichen Lebens als Normalität erleben, dass ist das Ziel von Inklusion. Für Stomaträger kann man sich das vielleicht so vorstellen: wenn man in der Schlange an der Supermarkt-Kasse von allen schräg angeschaut wird, weil sich das Stoma gerade lautstark zu Wort meldet, genügt ein kurzes „'tschuldigung, ich hab einen künstlichen Darmausgang“ und alle wissen Bescheid und niemand schaut mehr vorwurfsvoll.

Eine unvorstellbare Situation? Ganz im Gegenteil. Inklusion ist für Stomaträger durchaus greifbar und keine Utopie. Viele Stomaträger führen bereits heute ein „normales“ Leben, den Beutel am Bauch erleben sie nur selten als Einschränkungen. An ihrem Beispiel können wir ablesen, welche Voraussetzungen vorhanden sein müssen, dass Inklusion für alle Stomaträger gelingt.

Abbildungen: drei aktive Stomaträger zeigen ihren Beutel am Bauch

Das Stoma ist kein Tabu-Thema mehr

Natürlich ist unsere Behinderung nicht offensichtlich, der Beutel am Bauch verschwindet unter unserer Kleidung und lässt sich gut verstecken. Und wir stellen uns auch nicht mit den Worten vor „Hallo, ich bin der Stefan und ich bin Stomaträger“. Aber immer mehr Betroffene gehen offen und selbstbewusst mit ihrer Behinderung um. Stomaträgerinnen zeigen sich am Strand im Bikini, der ihren Beutel am Bauch kaum verdeckt. Auf facebook diskutieren Betroffene über Stoma-Themen unter ihrem realen Namen. Und viele beteiligen sich an Aufrufen zu Foto-Aktionen, die sie mit ihrem Stoma-Beutel in ganz alltäglichen Situationen zeigen.

In unserer Gesellschaft existieren weit weniger Vorbehalte oder Ablehnung gegenüber dem „künstlichen Darmausgang“, als wir Stomaträger häufig vermuten. Unsere Ängste, durch laute Darmgeräusche oder „weil man etwas sehen oder riechen könnte“ als Stomaträger geoutet zu werden, sind unbegründet. Berichte über negative Reaktionen oder gar Ausgrenzung gibt es natürlich, aber sie sind die Ausnahme.

Der offene Umgang mit der eigenen Behinderung ist ein wichtiger Schritt hin zu Inklusion. Ein Schritt, der durch öffentliche Aufklärung und durch die Ermutigung zum selbstbewussten Leben mit dem Beutel am Bauch unterstützt werden kann. Aber es gehört noch mehr dazu, wenn man Inklusion ernsthaft umsetzen will.

Grundlagen für ein selbstbestimmtes Leben

Wir Stomaträger können nicht ohne den Beutel am Bauch. Ob ich meinen Job wieder aufnehmen und in meinem Verein wieder aktiv werden kann, hängt vor allem von einer zuverlässigen Hilfsmittelversorgung ab. Aber bis ein Stomaträger wieder aktiv im Leben steht ist es ein langer Weg, auf dem viel schief gehen kann.

In der gesamten Versorgungs-Kette, von der Diagnosestellung bis zur Rückkehr in den Alltag, durchlaufen Stomaträger mehrere Stationen, die Einfluss auf die spätere Lebensqualität haben. Bereits mit der Stoma-Operation werden entscheidende Grundlagen gelegt. Hier ist nicht nur das Handwerk des Chirurgen gefragt, sondern auch sein Verständnis für die spätere Hilfsmittel-Versorgung. Die Aufnahme der Empfehlungen zur Stoma-Markierung und prominenten Stoma-Anlage in der S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom sind ein gutes Beispiel für praktische Maßnahmen zur Umsetzung von Inklusion in der ärztlichen Versorgung.

Stomatherapeuten in der Klinik…

Die qualifizierte Stomatherapie ist ein weiterer wichtiger Baustein. Vor der Operation übernehmen Stomatherapeuten die Aufklärung und führen delegierte Aufgaben wie das Anzeichnen der optimalen Stoma-Position aus. Nach der Operation leiten sie die Patienten in der Hilfsmittelversorgung an und ebnen so den Weg in ein selbstbestimmtes Leben mit der Behinderung.

Aber gerade in der Klinik bleibt der Stomatherapie häufig zu wenig Zeit. Rückblickend wünschen sich viele Stomaträger bereits vor der Operation mehr Information und Aufklärung. Nicht nur darüber, was ein Stoma eigentlich ist und wie es versorgt wird. Sondern auch zu Themen, die manchmal schwierig sind, wie mögliche Folgen der Operation auf die Sexualität oder mögliche Beeinträchtigungen im Beruf. Auch Stomatherapeuten sehen hier einen Bedarf und häufig haben sie im Klinikalltag nicht die notwendige Zeit, um auf die individuellen Fragen der Patienten ausreichend eingehen zu können.

Auch für die Anleitung in der Hilfsmittelversorgung bleibt nach der Operation aufgrund der kürzeren Liegezeiten heute weniger Zeit. Wir empfehlen Stomaträgern deshalb häufig eine Anschlussheilbehandlung (AHB). Drei Wochen, um sich in ärztlicher und therapeutischer Betreuung zu erholen und neue Kraft zu sammeln. Und drei Wochen, um mit der Hilfsmittel-Versorgung vertraut zu werden. Leider lehnen viele Betroffene eine AHB für sich ab. Auch hier ist eine intensivere Aufklärung notwendig.

… und in der ambulanten Versorgung

Auch nach dem Aufenthalt in der Klinik bleiben Stomatherapeuten wichtige Ansprechpartner für uns Stomaträger. Sie passen die Hilfsmittelversorgung an Veränderungen an, z.B. wenn wir nach überstandener Krankheit und Operation endlich wieder an Gewicht zulegen. Oder sie helfen bei Komplikationen wie Hernien oder Hautentzündungen, die auch noch Jahre nach einer Stoma-Anlage auftreten können.

Die individuelle Betreuung durch Stomatherapeuten ermöglicht Stomaträgern den schnellen Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben. Die stomatherapeutischen Angebote sollten gestärkt und ausgebaut werden, entsprechende Grundlagen lassen sich z.B. im Rahmen von Zertifizierungen und in Hilfsmittelverträgen schaffen.

Hilfsmittel-Versorgung

Letztendlich spielt die Qualität der Hilfsmittel ebenfalls eine entscheidende Rolle auf dem Weg zur Inklusion. Das Ziel ist eine optimale Stomaversorgung, die zuverlässig haftet, die Haut um das Stoma schützt und im Alltag jeder Herausforderung gewachsen ist, egal ob ich gerne Sport treibe, in die Sauna gehe oder als Verkäuferin den ganzen Arbeitstag auf den Beinen stehe.

In Deutschland können Stomaträger und Therapeuten auf eine Vielfalt an hochwertigen Stoma-Versorgungsprodukten zurückgreifen und damit oft auch schwierige Versorgungs-Situationen meistern. Einschränkungen im Wahlrecht und damit in der Mitsprache der Betroffenen bei der Auswahl der Hilfsmittel darf es nicht geben. Und die tatsächlich benötigten Hilfsmittel müssen weiterhin in vollem Umfang von den Krankenkassen erstattet werden. Schon alleine deshalb ist es richtig, dass Ausschreibungen und die damit verbundene exklusive Vergabe der Hilfsmittel-Versorgung an Billig-Anbieter auch in der Stomaversorgung keine Option sind.

Zurück im Alltag knüpft die Selbsthilfe an die Arbeit der Therapeuten an und bietet Orientierung und Hilfe von Betroffenen für Betroffene. Der gemeinsame Erfahrungsaustausch beantwortet viele individuelle Fragen. Egal ob Schwimmen, Sauna, Beruf oder Ernährung, die positiven Beispiele anderer motivieren und geben Selbstbewusstsein im Umgang mit der eigenen Behinderung. Die Stärkung der Selbsthilfe ist damit ein weiterer wichtiger Baustein zur Inklusion von Stomaträgern.

Fazit

„Ich denke nur noch an meinen Beutel am Bauch, wenn ich zur Toilette gehe.“ Das ist wohl eine der positivsten Aussagen, die ein Stomaträger über sich selbst treffen kann. Inklusion gelungen.

Damit alle Stomaträger genau das von sich selbst behaupten können, sind mehrere Bausteine notwendig: eine möglichst optimale Stoma-Anlage, eine individuelle Stomatherapie, eine gute, individuell angepasste und aufzahlungsfreie Hilfsmittelversorgung, der Kontakt zur Selbsthilfe und die öffentliche Aufklärung.

Bildquelle: Fotoaktion 100 Tage - 100 Momente, www.100-tage-100-momente.de