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Man muss sich immer kleine Ziele setzen

Heike ist 53 Jahre alt und lebt mit ihren Töchtern und ihrem Hund in Brilon. Schon eine Woche nach dem ersten Verdacht aus Analkrebs wurde Heike operiert und lebt seitdem mit einem Colostoma. Die Bewältigung ihrer Kebserkrankung stand aber immer im Vordergrund, der Umgang mit ihrem Stoma wurde bald zur Routine.

So kurz vor meinem 50. Geburtstag hatte ich irgendwie eine Veränderung am Damm bemerkt. Ich habe das zunächst aufs Alter geschoben. Erst wie ein Pickelchen, es wurde dann aber größer und schmerzte. Mein Hausarzt hat sich das angeguckt und sagte: „Ja ich weiß nicht, könnte ein Tumor sein, könnte auch eine Hämorrhoide sein…“ Und ich sollte am nächsten Tag hier in die Ambulanz gehen. Dort untersuchte mich eine ehemalige Klassenkameradin von mir, sie ist dort Chirurgin. Sie holte ihren Chef dazu, den Proktologen. Der guckte sich das an, steht vor mir und sagt: „Ich halte es für einen Analkrebs.“ Bums. Mein erster Gedanke ist: Tod. Ganz klar, das Wort Krebs verbindet man mit Tod. Ich solle am nächsten Tag noch einmal zu genaueren Untersuchungen und Gewebeprobe kommen – und er hat sofort auch gesagt: „Wenn das Krebs ist, müssen wir einen künstlichen Darmausgang legen zur Entlastung.“

Das Stoma war also beim ersten Gespräch sofort ein Thema. Ich wusste darüber überhaupt nichts. Erste Reaktion war: Mach ich nicht! Doch meine frühere Schulfreundin hat mir das wirklich ganz toll erklärt. Wieso, weshalb, warum zur Entlastung. Ich bin auch noch mal bei meinem Hausarzt gewesen, der war ein bisschen radikaler: „Jetzt stell dir mal vor, durch die kaputte Haut von der Bestrahlung, da müsste noch Scheiße durch.“ So hat der das gesagt. Das war für mich dann klar, „Ok, das muss man machen.“

Am nächsten Morgen, mittwochs, bin ich zur Probeentnahme und donnerstags Morgen zur Voruntersuchung ins Krankenhaus gegangen, also gleich stationär. Und Donnerstagabend hatte ich schon das Ergebnis. Der Proktologe sagte, dass sich der Krebsverdacht bestätigt hatte: „Wir machen jetzt weiterhin Voruntersuchungen und Montagmorgen bekommen sie den künstlichen Darmausgang.“ Natürlich hatte ich auch gedacht: Bleib ich hier in diesem kleinen, ja „Dorfkrankenhaus“ – aber ich fühlte mich vom ersten Tag an da sehr, sehr gut aufgehoben. So bin dann am Montag operiert worden, auf dem 75. Geburtstag meiner Mutter, den ich damit natürlich gesprengt habe.

Heike lebt mit einem Colostoma

Also hatte ich eine Woche nach dem ersten Verdacht einen künstlichen Darmausgang, so schnell. Nach der Stoma-Operation habe ich natürlich erst geschlafen. Meine Töchter Loretta und Isabell waren immer bei mir, die haben sich den Tag beide freigenommen. Und sie waren immer da.

Die Tochter Loretta ergänzt: Mama liegt da halb beduselt noch im Bett und ich wusste ja auch nicht, was ein Stoma ist … und sie schlägt das Bett auf und: „Willste mal gucken?“ Das war… ein durchsichtiger Bauchbeutel, man konnte wirklich alles sehen und – da musste ich mich erst mal setzten…

Ich hatte ja ein doppelläufiges Colostoma. Da war damals auch noch dieser Reiter drin, dieses Teil, was den Darm nach der OP hochhält, damit er nicht wieder direkt in den Bauch fällt. Ich war auch neugierig, ich wollte alles wissen. Also ich habe noch in der Klinik angefangen, mein Stoma selbst zu versorgen.

Doch danach ging das ja medizinisch bei mir ja noch anders weiter. Ich bin eine Woche nach der Stoma-OP, direkt den Montag drauf in eine weiter entfernte Klinik verlegt worden, auf die Krebsstation. Da hieß es nun Bestrahlung und Chemotherapie. Das war schon eine verdammt harte Zeit. Die Bestrahlung hat mir unheimlich zugesetzt und alles kaputtgemacht. Der komplette Scheiden- und Afterbereich, alles verbrannt, alles wund und offen.

Auch das Stoma und die Haut drum rum hatte sich verändert und die Stomaversorgung wollte einfach nicht halten. In einer Nacht ist mir viermal die Haftplatte abgegangen. Da hatte ich noch ein zweiteiliges System, also eine Platte und einen Beutel zusätzlich. Ich habe morgens nur noch dagesessen mit Handtüchern und Zewa und gewartet, dass meine Stomatherapeutin kam und mir eine neue Platte aufklebte – ich kriegte es nicht mehr hin. Ich konnte es wirklich nicht mehr. Und heute mache ich den Versorgungswechsel ganz nebenbei: gestern bei McDonalds auf der Toilette. Heute ist das absolute Routine, heute ist es das normalste von der Welt. Habe ein tolles System jetzt, eine einteilige Versorgung. Ich probiere zwar immer auch gerne neue Sachen aus, komme aber immer wieder darauf zurück.

Heikes Töchter waren auch im Krankenhaus immer bei ihr

Im April hatte ich dann die Krebs-OP, also zur Entfernung. Und seitdem bin ich auch nachweislich krebsfrei. Krebsdiagnose November 2009, Krebsfrei April 2010. Meine beiden Mädchen haben wirklich alles gemacht und getan. Gerade als ich auf der Krebsstation lag, hatten sie immer das Gefühl, sie müssten zur Mama. Nur, Mama ist erwachsen, und es hätte auch nichts ausgemacht, wenn mal einen Tag keiner gekommen wäre. Aber das war für die beiden untragbar.

Trotzdem fehlt dann in so einer Situation einfach ein Partner, ich lebe seit 2004 getrennt. Da fehlt die Schulter mal zum Ausweinen. Es gibt einfach Sachen, womit man seine Kinder nicht auch noch belasten will. Wobei ich ganz ehrlich sagen muss, die Todesangst war ganz schnell vorbei. Daran verschwende ich auch heute überhaupt keinen Gedanken.

Ruhe zu bewahren und zu lernen, sich in Ruhe mit diesem Stoma und seiner Versorgung zu beschäftigen – das war für mich das A und O. So habe ich mein Stoma relativ schnell angenommen, das war für mich eigentlich nie ein Fremdkörper, das war für mich eine Notwendigkeit. Ich habe gelernt, mein Stoma wirklich in Ruhe zu versorgen. Wenn jetzt mal ein Beutel nicht hält, dann hält er beim nächsten Mal.

Wir haben ja hier bis vor kurzem alle zusammen gewohnt, eigentlich vor dem Hintergrund, dass ich nicht alleine leben konnte. Ich konnte zwar mein Stoma selber versorgen, aber keinen Haushalt führen, kein Essen machen. Ohne meine beiden Töchter Loretta und Isabell wäre ich nicht da, wo ich heute bin, ganz klar. Die Große ist ja nun schon ausgezogen und führt ihr eigenes Leben. Doch mittlerweile traue ich mir auch schon wieder zu, einen kleinen Haushalt selbständig zu führen. Soweit bin ich. Und wenn es mal ein Tag ist, wo nichts geht, dann geht es halt nicht an diesem Tag.

Ja, man muss sich, ich muss mir immer so kleine Ziele setzen. Also im Moment habe ich das Ziel, nach Möglichkeit jeden Abend eine kleinere oder auch größere Runde mit dem Hund zu gehen. Wir wohnen ja hier direkt am Wald und da kann ich den Hund laufenlassen und …

Als ich mal so einen Durchhänger hatte, da hat mein Pflegesohn Michael zu mir zu Hause am Küchentisch gesagt: „Weißt du was? Du musst allmählich akzeptieren, dein altes Leben kriegst du nicht mehr zurück – du hast jetzt ein anderes Leben.“ Ihm war es dann erst peinlich, mir das so vor den Koffer zu knallen. Er sagte aber auch: „Es wird vieles sein, was du nicht mehr kannst – aber dafür gibt es viele andere Sachen, die dir passen.“

So animiert er mich immer wieder, was zu unternehmen: McDonalds, einfach mal irgendwo ’nen Kaffee trinken, mal ihn in Dortmund zu besuchen und und und. Dann sagt er: „Guck mal, das ist doch schon wieder was ganz anderes.“ Da hat er ja recht: Man hat immer so ein Bedürfnis, man möchte zurück in sein altes Leben. Viele schaffen das ja auch, aber ich werde das nicht mehr können, ganz einfach, Punkt. Ich darf nicht mehr im Laden arbeiten, weil das ein kleiner Dorfladen ist, da müsste ich auch Sprudelkisten schleppen, das darf ich nicht.

Ja, ich habe es irgendwann akzeptiert, dass ich mein altes Leben nicht wiederkriege. Und seitdem geht es mir auch noch ein Stück besser.