Der Doktor macht mich wieder ganz
Simon ist drei Jahren alt und lebt mit seinen Eltern bei Saarbrücken in Elversberg. Gleich am ersten Tag nach seiner Geburt bekam er ein Colostoma, weil ihm der natürliche Darmausgang fehlte. Später folgte ein Urostoma. Seine Eltern mussten sich in kurzer Zeit sehr gut informieren, um die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Simons Mutter erzählt:
Dass mit dem Simon was nicht stimmt, haben wir in der 34. Schwangerschaftswoche erfahren. Es war vorher eine ganz unkomplizierte Schwangerschaft und es ist nie irgendwas aufgefallen. Dann wurde festgestellt, dass der Simon eine gestaute Niere hat.
Bei der weiterführenden Diagnostik im Krankenhaus wurde daraufhin eine singuläre Nabelschnurarterie diagnostiziert – was auf weitere Fehlbildungen hindeuten kann, aber nicht muss. Und weil ansonsten eigentlich im Ultraschall beim Simon alles in Ordnung schien, haben uns sämtliche Kinderärzte und Frauenärzte beruhigt: „Jetzt erstmal abwarten, deshalb leitet man jetzt nicht früher ein oder so.“
Naja, der Simon ist dann drei Wochen früher wie geplant zur Welt gekommen und… ja, da hatten die zunächst gar nix weiter bemerkt… Und sechs Stunden später, als beim Simon die Temperatur gemessen werden sollte, wurde plötzlich festgestellt, dass der Simon kein Po-Loch hatte – eine Analatresie.
Damit hat das Ganze erst angefangen: Dann war klar, ok, der braucht dringend einen Anus praeter, damit er Stuhl absetzen kann. Es wurden Nieren, Kopf, Herz, alles komplett untersucht. Und nach und nach – wir sprechen hier von Tagen, Wochen, Monaten – sind die ganzen Hiobsbotschaften gekommen, was der Simon alles hat.
Die Nieren sind nicht in Ordnung, der Darm nicht, die Wirbelsäule nicht, Hüfte, Füße – also alles was so vom Bauchnabel abwärts ist, ist fehlgebildet. Das Ganze nennt man heute Kaudale Regression. Als Hauptproblem fehlt beim Simon das Kreuz- und das Steißbein, damit natürlich auch die Nervenversorgung von Blase und Enddarm. Er konnte auch nicht alleine pinkeln, hat dann einen Dauerkatheter bekommen. Dass waren so eigentlich die Hauptbaustellen.
An seinem zweiten Lebenstag hat Simon ein temporäres doppelläufiges Colostoma angelegt bekommen. Vier Monate später ist ein Urostoma dazu gekommen, um die gestaute rechte Niere zu erhalten. Im ersten Lebensjahr ist er, ich weiß nicht wie oft, operiert worden…
Natürlich war es am Anfang etwas befremdlich, sein Kind mit einem Stoma zu sehen. Zumal wir so etwas noch nie zuvor gesehen haben. Wir haben auch viele wichtige Informationen durch die Selbsthilfeorganisation SoMA bekommen. Sehr viel Hilfe hatten wir durch Kinderkrankenschwestern, Stomatherapeuten und einem Pflegedienst, so dass wir recht schnell die Stomapflege und Versorgung selber übernommen haben. Der Simon war von Anfang an immer sehr sehr geduldig und hat uns somit recht schnell die Angst genommen, etwas falsch zu machen und ihm damit weh zu tun!
Simon lebt mit einem Malone-Stoma
Er hat Gott sei Dank die ganzen Operationen auch immer gut verkraftet. Er war ja alle drei Monate im Krankenhaus. Und da stand natürlich bei all den Untersuchungen dauernd diese eine Frage im Raum: Klappt das überhaupt jemals ohne dieses Stoma? Denn sämtliche bildgebenden Verfahren, wie Kernspin, CT und so, haben immer gesagt: Da ist kein Schließmuskel, keine Beckenbodenmuskulatur, also eigentlich wenig Hoffnung auf Kontinenz.
Der Simon fing erst einmal an zu robben, da kam es vor, dass wir mehrmals täglich den Beutel neu kleben mussten. Als er anfing zu krabbeln, wurde das aber wieder besser. An seiner Versorgung hat Simon nie rumgespielt. Es gehörte einfach von Anfang an dazu. Wenn der Beutel aber mal ab war – wir haben zum Beispiel Simon immer ohne Versorgung gebadet – dann kam es schon auch mal vor, dass der Simon einen Finger in sein Stoma hineinsteckte. Da musste man schon aufpassen.
Wir haben seinen ersten Geburtstag als großes Fest mit Freunden, Familie und Kindern gefeiert. Auch um allen Leuten einmal danke zu sagen, weil sie uns in Simons ersten, wirklich schwierigen Lebensjahr sehr unterstützt haben.
Wir haben uns immer bemüht, von Anfang an offen darüber mit anderen Erwachsenen und auch Kindern zu sprechen. Jede Frage haben wir beantwortet und Simons Krankheitsbild immer wieder erklärt. Und wir haben Simon als ein normales Kind behandelt. Wenn bei einem Kindergeburtstag oder so mal ein Beutel abgefallen war, dann wurde er halt dort gewechselt. Simon ist mit vielen gleichaltrigen Kindern in unserem Freundeskreis groß geworden. Da kamen auch mal Fragen von den Kleinen, warum der Simon so Beutel hat. Dann haben wir das kindgerecht erklärt, und damit war es auch gut.
Doch es kam danach so eine Phase, wo wir fast ständig den Notarzt hier hatten, weil Simons Darm 15, 20, 30 cm prolabiert war. Irgendwann haben wir das nicht mehr in den Griff bekommen, der Simon hatte quasi einen Darmverschluss. Da haben wir uns entschlossen, dass das Colostoma endständig anlegen zu lassen: Wenn Simon ein Stoma trägt, wo man bloß einen Beutel dran und ab macht – das ist doch ein angenehmeres Leben für ihn, als ein Leben lang die Windel voll.
Und dann lag der Simon zu diesem Termin auf dem OP-Tisch… und glücklicherweise hat der Chirurg da noch mit so einer Elektrode versucht, irgendeinen Schließmuskel zu finden – und hat auch tatsächlich was gefunden! Während der OP hat er uns sofort angerufen: „Da ist irgendwas… Ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, einem zweijährigen Kind was Endständiges zu machen, wenn es vielleicht doch die Chance gibt, dass da was ist…“. Daraufhin haben wir die OP abgebrochen. Wir waren wieder ganz durch den Wind: himmelhochjauchzend und auf der anderen Seite, was ist, wenn nicht?
Für eine zweite Meinung sind wir danach mit dem Simon zu einem Spezialisten gefahren, der sich sehr gut mit dem Krankheitsbild auskennt. Und der hat den Simon dann letztes Jahr operiert, hat eine Durchzugs-OP gemacht, also den Darm nach unten durchgezogen.
Simon hatte nach dieser OP jetzt noch immer ein temporäres doppelläufiges Colostoma. Doch der Arzt hat uns dann geraten, ein Malone-Stoma anzulegen. Das ist ein Spülstoma im Bauchnabel… sehr ungewöhnlich, es bei einem so jungen Kind anzulegen. Der Arzt hat halt gesagt, die Wahrscheinlichkeit, dass der Simon wirklich immer kontinent sein wird, ist gering, aber damit kann man gut leben. Ja, nach langem überlegen haben wir uns dazu entschlossen. Wir haben auch mit Simon sehr viel darüber gesprochen. Er sagte da immer: „Der Doktor macht mich wieder ganz.“
Simon kann heute ohne Probleme den Kindergarten besuchen
Und letztes Jahr im September hat Simon dann sein altes Colostoma zurückgelegt bekommen und gleichzeitig dieses neue Spül-Stoma angelegt bekommen. Das ist ganz klein, da muss kein Beutel mehr drauf, kommt auch nix raus, also… Alle zwei Tage spülen wir, dazu kommt über einen ganz normalen Katheter in dieses Stoma 300ml Kochsalzlösung rein. So löst sich der ganze Stuhl, und der Simon setzt sich dann normal auf die Toilette, entleert sich, und ist dann zwei Tage komplett sauber.
Auch das Urostoma ist nach anderthalb Jahren zurückverlegt worden. Die Harnleiter sind neu eingepflanzt worden in zwei OPs. Und seitdem
katheterisieren wir den Simon auch regelmäßig über die Harnröhre. Auch das toleriert er wirklich sehr gut. Natürlich sagt er auch mal: „Ich will jetzt nicht, hab jetzt keine Lust“, aber insgesamt macht er das alles sehr gut.
Der Simon ist jetzt drei Jahre alt und spielt sehr gerne draußen auf seinem Kletterturm, er hüpft gerne Trampolin und schwimmt sehr gerne. Ansonsten liebt er seine Legosteine, seine Werkbank und seine Dinosaurier. Und Simon hat sehr viele Spielkameraden, mittlerweile gehen alle in den gleichen Kindergarten.