Da gehe ich über Jahre zum Arzt – und jetzt das!
Hildegard ist 78 Jahre alt und lebt mit ihrem Mann in Dresden. Ihr Blasenkrebs wurde erst spät erkannt. Operation und Chemotherapie folgten, seitdem lebt sie mit einem Urostoma. Ihr Mann und ihre Familie halfen ihr, nicht aufzugeben. Heute trifft sie sich wieder regelmäßig mit ihrer Wandergruppe.
Schon 2005 bin ich zum Urologen gegangen, weil ich… so alle zwei Stunden auf die Toilette musste. Einen solchen Harndrang kannte ich vorher gar nicht. Der Arzt hat daraufhin gesagt: „Das passiert so in der Rübe.“ – wörtlich. Und ich bin dann erst noch anderthalb Jahre zu ihm hingegangen. Es wurde nicht besser. Ich war ja damals schon in meiner Wandergruppe und die anderen da sagten mir immer schon: „Du, deine zwei Stunden sind rum, du musst doch jetzt wieder irgendwie… “ Dann bin ich zu einer Ärztin gegangen, die hat mich daraufhin alle halbe Jahre kommen lassen und so zwei Jahre lang gesagt, es wäre eine Reizblase. Ich hatte auch Schmerzen, die wurden schlimmer und schlimmer. Deshalb habe ich noch einmal eine andere Urologin gesucht. Noch vor dem Untersuchungstermin bei ihr – der sollte erst ein halbes Jahr später sein – habe ich auch auf ihr Anraten schon im Mai 2009 im Krankenhaus einen Urin-Schnelltest auf Blasenkrebs machen lassen. Der war dann positiv.
Blasenkrebs …
Über Blasenkrebs wusste ich gar nichts. Nach so einer Woche bin ich zum Arztgespräch wieder in das Krankenhaus geladen worden, da habe ich meinen Mann Werner mitgenommen. Und dort habe ich wirklich sehr ausführlich, fast zwei Stunden, mit dem Arzt sprechen können. Es gab keine Alternative, die Blase musste raus. Der Arzt hat mir alles erklärt, wie das läuft und sogar Zeichnungen gemacht. Er hat mir auch verschiedene Varianten der Behandlung angeboten. Aber er sagte, dass in meinem Fall und in meinem Alter – 74 war ich damals – ein Urostoma am angebrachtesten wäre. Das hat mir meine Ärztin bestätigt und sagte mir, die Inkontinenz wäre sonst immer geblieben. Naja, da habe ich mich für das Urostoma entschieden. Die Operation sollte Anfang August sein.
Zuhause habe ich dann aber doch getobt, geschrien, mein Mann musste sich das alles anhören: „Da gehe ich über vier Jahre lang zum Arzt – und jetzt das! Hätte das nicht verhindert werden können?“ Darüber komm ich bis heute nicht weg. Also ich wollte nicht mehr… Aber ich habe meine ganze Familie: meinen Mann, zwei Kinder, das sind meine Tochter und mein Schwiegersohn, und zwei Enkel, und zwei Urenkel. Ja, und wir halten alle zusammen. „Ihnen zuliebe mache ich das“, habe ich zu mir selbst gesagt, „die kannst du nicht enttäuschen, die warten auf dich.“
Diese große Klinik hier bei uns in Dresden, mein Mann war dort ja schon mal nach einem Unfall gewesen und damals waren wir da schon sehr zufrieden. Auch im Internet hatte ich mich dann schon ein bisschen über die Urologie der Klinik schlau gemacht. Und meine Ärztin hat mir bestätigt, dass dort sehr kompetente Ärzte sind.
Vom 4. bis zum 19. August war ich also dort im Krankenhaus. Sehr nette Schwestern, ganz liebevoll, wie man sich das so wünscht und nicht 08/15. Ja, dann kam der Arzt und hat mich erst mal begrüßt. Gut, und klar: Die Operation war schon am übernächsten Tag. Den Vormittag nach der OP kam wieder der Arzt zu mir, und hat mir viel erzählt, was ich bestimmt fast alles später vergessen habe. Aber ich weiß noch, dass er eben – ich muss sagen, liebevoll – dort an meinem Bett gestanden hat, und mir erzählte, was er gemacht hat und was er nicht machen konnte. Und das alles gut verlaufen ist.
Hildegard lebt mit einem Urostoma
Ich war nur drei Tage auf der Intensivstation und hatte nie irgendwie Probleme. Das war so niedlich: Da kam auch ein Arzt, der sagte, er will mal gucken, ob das alles hier in Ordnung ist. Und dann hat er mir noch gezeigt und erklärt, wie eine zweiteilige Versorgung bei meinem Urostoma funktioniert: „… so, und nun wird das nämlich hier so draufgemacht – wie so eine Tupperware…“ Ja, ich habe heute noch das selbe Versorgungssystem.
Mein Mann hat mich jeden Tag in der Klinik besucht. Meine Kinder kamen, die haben auch die Kleinen mitgebracht. Das finde ich eben so schön, wenn auch die Kleinen – die waren da acht und vier – mit dem Älterwerden konfrontiert werden. Dass die lernen, man kann Krankheiten haben, man sieht nicht mehr so aus wie Mutti und Vati – das finde ich sehr wertvoll. Und ich bin im Krankenhaus auch von meinen Wanderfreundinnen besucht worden. Ich bin eingebettet in einen guten Freundeskreis und in eine gute Familie. Das hat mir eigentlich auch geholfen.
Die Klinik ist super, kann ich nicht anders sagen. Auch das Essen – was die so vegetarisch alles hinkriegten! Ich habe da gern vegetarisch gegessen – und habe mich dann einmal schriftlich bei der Küche bedankt.
Sehr zeitig kam schon auf der Station die Sozialarbeiterin und hat mich über eine Anschlussheilbehandlung informiert, über Pflegedienst und über die Stomatherapeutin. Ja, das alles ist dort geregelt worden. Und ich habe aber dann gesagt, ich will nicht zur Kur, also ich wollte nach Hause. Zu meinen Leuten und in meine eigenen vier Wände.
Ich wollte wieder im Leben sein. Ja aber das war nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Dann kamen diese Absacker…
Als ich wieder zu Hause war, hatte ich auch noch diese Chemotherapie angefangen. Der Arzt hatte mir zwar gesagt, ich bräuchte mir keine Sorgen machen, mit der Blase sei alles raus und ich bräuchte auch keine Chemotherapie. Später habe ich aber gesagt, dass ich lieber eine möchte. Weil ich mir gedacht habe: „Wenn doch noch irgendwo was ist, mache ich das mal lieber. Daran ist bestimmt noch keiner gestorben.“ Die Chemotherapie habe ich dann aber gar nicht gut vertragen.
Das hatte ich dreimal durch, und dann ist mir das alles das erste Mal bewusst geworden, was ich hatte, was ich habe und so…
Hildegard fiel der Umgang mit ihrem Stoma zuerst schwer
Ich konnte mein Stoma die ersten anderthalb Jahre lang nie selber versorgen. Das hat alles mein Mann gemacht, ich konnte das nicht. Der hatte mir zwar so eine kleine Trittstufe gemacht, damit ich mit meinem Beutel übers Waschbecken konnte und extra noch einen Spiegel ins Badezimmer gestellt. Ich konnte mir das alles gar nicht ansehen, da habe ich gezittert und mir liefen die Tränen. Ich hatte mein Stoma damals noch nicht richtig angenommen.
Als dann der nächste Durchgang der Chemotherapie anstand, habe ich meiner Ärztin gesagt: „Den vierten Durchgang will ich nicht mehr.“ Meine Ärztin antwortete: „Wenn sie das mental nicht mehr verkraften, dann lassen wir es.“ Daraufhin habe ich abgebrochen. Ich habe nie hinterher irgendwelche Tabletten oder so nehmen müssen. Ja aber ne, ich kann da überhaupt nicht klagen.
Heute kann ich anders mit meinem Stoma umgehen, heute kann ich mein Stoma natürlich selbst versorgen. Ich hatte nie Probleme, unseren Bekanntenkreis einzuweihen, nie. Vorher schon wusste jeder Bescheid, und es hat sich keiner von mir abgewandt.
Ne, ich habe da nie Probleme gehabt, offen darüber zu sprechen. Und das müssten viele machen, wenn sie so was haben, sich nie verstecken! Wir haben einen Nachbarn, dessen Mutti hat, ich weiß nicht welchen, Krebs. Dort darf nicht von Krebs gesprochen werden in der Familie, darauf reagieren die irgendwie allergisch. Tja, ich bin da anders, ich kann darüber reden.
Ich gehe ins vierte Jahr nach der Operation. Alle Kontrolluntersuchung waren gut. Ja, ich habe jetzt letztens einen Befund gekriegt, da hat meine Ärztin sogar drunter geschrieben „Sehr schöner Befund, mit freundlichen Grüßen“. Das ist ja eine super Ärztin, ich habe schon all meinen Freundinnen aus der Wandergruppe gesagt: „Wenn ihr mal was habt, geht bloß dort hin!“ Also wir nennen uns noch Wandergruppe. Vor zehn Jahren sind wir auch gewandert, jetzt gehen wir eher spazieren.