Stomaträger werden immer selbstbewusster, informieren sich und nehmen ihr Hilfsmittel-Wahlrecht aktiv wahr. Dem entgegen steht die Tendenz zu immer niedrigeren Vergütungs-Pauschalen bei den Krankenkassen, die bereits heute zu Einschränkungen im Wahlrecht führen. Zwei Entwicklungen, die gegensätzlicher kaum sein könnten und in 2015 für Diskussionen sorgen werden.
Rechtslage und Anspruch
Soweit die gesetzliche Grundlage. Aber was bedeutet das in der Praxis? Setzt man sich in eine Selbsthilfegruppe und fragt einmal rund, dann findet man kaum zwei Stomaträger, bei denen die Stomaversorgung wirklich identisch ist. Das Stoma hat bei jedem eine andere Größe, mal ist es rund und passt in eine vorgefertigte Basisplatte, mal ist es oval und die Platte muss erst angepasst werden. Der eine benötigen zusätzliches Hautschutzmaterial oder eine konvexe Versorgung, weil sein Stoma in einer Bauchfalte liegt. Ein anderer hat ein Colostoma, aber wegen seiner Chemo-Behandlung ständig Durchfall und benötigt Ausstreifbeutel, die eigentlich für ein Ileostoma gedacht sind.
Die Stomaversorgung ist also eine ganz individuelle Sache. Und damit haben Stomaträger einen Anspruch auf die Hilfsmittel, die sie zur Versorgung ihres Stomas tatsächlich benötigen.
Entwicklung der Pauschalen
Dabei entstehen unterschiedlich hohe Kosten, die von den Krankenkassen jeden Monat beglichen werden. Um sich die Abrechnung zu vereinfachen, haben die meisten Krankenkassen Versorgungs-Pauschalen eingeführt. Diese Pauschalen liegen aktuell bei ca. 220 Euro, bei einigen Krankenkassen auch darunter. Sie basieren auf einem Muster-Patienten mit einem durchschnittlichen Versorgungs-Bedarf. Muster-Patient Herr Müller hat z.B. ein Kolostoma und benötigt 15 Basisplatten und 90 geschlossene Stomabeutel, die Muster-Patientin Frau Meier hat ein Ileostoma und benötigt 30 einteilige Ausstreifbeutel im Monat.
Die Versorgungs-Pauschale erstattet die Krankenkasse den Sanitätshäusern und Homecare-Unternehmen (Versorgern), unabhängig davon, ob die tatsächliche Stoma-Versorgung für den einzelnen Stomaträger teurer oder günstiger ist. Die Unternehmen sind heute sehr spezialisiert und betreuen viele Stomaträger. Und weil die Versorgungs-Situationen so individuell und unterschiedlich sind, liegt der eine Stomaträger mit seinem Hilfsmittel-Bedarf über der Pauschale, der andere darunter. In der Summe passt es dann wieder, die Betroffenen mit weniger Bedarf tragen diejenigen mit hohem Bedarf mit. Kaufleute bezeichnen dies als "Mischkalkulation". Sie gewährleistet, dass jeder Stomaträger weiterhin die Versorgung erhält, die er tatsächlich benötigt.
Die Einführung der Stoma-Pauschalen hatte spürbare Auswirkungen auf die Versorgung von Stomaträgern in Deutschland, wir haben darüber berichtet. Allerdings blieben große Einschnitte bislang aus, jeder Betroffene erhält derzeit eine ausreichende Menge an Stoma-Artikeln, und auch schwierige Versorgungs-Situationen bei Komplikationen oder berechtigtem, aber hohem Hilfsmittel-Bedarf lassen sich noch lösen.
Kritisch beobachten wir die Anstrengungen einzelner Krankenkassen die Versorgungs-Pauschale unter 200 Euro zu senken. Bei den Kassen soll weiter gespart werden, alle versuchen die Einführung von Zusatzbeiträgen zu vermeiden um keine Kunden zu verlieren. Der Spar-Druck kann sich aber schnell auf die Versorgungs-Qualität auswirken. Schon heute gibt es nur noch wenige Versorger, die Produkte aller verfügbarer Hersteller führen.
Dabei ist die Auswahl an Hilfsmitteln für Stomaträger in Deutschland größer denn je. Zwölf Hersteller bieten Stoma-Versorgungen in vergleichbar guter Qualität an. Und das ist gut so, denn nur durch eine möglichst hohe Produktvielfalt haben alle Betroffenen die Chance auf eine hohe Lebensqualität, trotz des künstlichen Darmausgangs.
Hilfsmittel-Wahlrecht vs. Kostendruck
Stomaträger haben ein Wahlrecht unter gleichermaßen geeigneten und wirtschaftlichen Hilfsmitteln. Die Ausübung dieses Hilfsmittel-Wahlrechts ist heute einfacher als noch vor einigen Jahren. Mit der zunehmenden Nutzung des Internets in allen Altersgruppen können sich Stomaträger unkompliziert und umfassend bei Herstellern über Stoma-Artikel und Versorgungsmöglichkeiten informieren, Versorgungen testen und gemeinsam mit ihrem Versorger entscheiden, welche Stoma-Versorgung letztendlich zum Einsatz kommt.
Und das Wahlrecht nutzen sie auch. Wie eine aktuelle Befragung der Selbsthilfe Stoma-Welt e.V. unter 357 Betroffenen zeigt, haben mit 56% etwas mehr als die Hälfte der Befragten in den vergangenen zwei Jahren eine Veränderung an ihrer Stoma-Versorgung vorgenommen. Davon gab wiederum exakt die Hälfte als Grund an, dass sie mit der eigenen Versorgungs-Situation unzufrieden waren und deshalb selbst tätig wurden.
Faktisch wird das Hilfsmittel-Wahlrecht aber aus wirtschaftlichen Überlegungen immer wieder eingeschränkt. Es ist legitim, wenn Versorger dem Wunsch ihres Kunden nach einer bestimmten Stoma-Versorgung mit dem Vorschlag einer Alternative begegnen, so lange diese gleichwertig ist. Lässt sich allerdings die Versorgung zu Gunsten der Lebensqualität des Betroffenen verbessern, darf es aus rein wirtschaftlichen Gründen nicht zu einer Ablehnung kommen. Auch eine „wirtschaftliche Aufzahlung“ in Rechnung zu stellen, also eine individuelle Zuzahlung zu verlangen, ist in diesen Fällen nicht zulässig.
Der gesetzliche Anspruch an die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Stomaversorgung wurde mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland um den Anspruch auf eine umfassende gesellschaftliche Teilhabe erweitert. Eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Stoma-Versorgung muss sich damit auch an der Inklusion von Stomaträgern messen lassen. Dem entgegen steht die Erwartung weiter sinkender Versorgungs-Pauschalen mit negativen Folgen für Stomaträger. Eine Situation, die für weitere Diskussionen sorgen wird.