Die Pillendose erinnert uns an vergessene Medikamente und der Stomabeutel warnt uns, bevor er voll ist. Alles Zukunftsmusik? Die intelligente Pillendose gibt es bereits. Und drei junge Tüftler arbeiten daran, dass der Stomabeutel lernt Nachrichten an ein Smartphone zu senden.
Im Interview erzählen sie uns, wie man auf die Idee kommt sich mit abgeplatzten Beuteln zu beschäftigen und warum sie auf die Unterstützung der Stomaträger*innen bauen und dazu eine Umfrage gestartet haben.
Stoma-Welt: Bitte stellt euch kurz vor. Wer seid ihr und was macht ihr derzeit?
JHT: Mein Name ist Jan Hendrik Träger, ich bin 23 Jahre alt und arbeite als Krankenpfleger auf der kardiologischen Intensivstation in der Uniklinik Heidelberg. Und das beschreibt auch schon meine Funktion im Team, ich bin sozusagen der Mann der Praxis.
PR: Patrick Roth, ich bin 27 Jahre alt und Student an der TU in Kaiserslautern mit Studienrichtung Wirtschaftsingenieurwesen mit Informatik. Im Team übernehme ich die Administration und das Controlling.
Und dann gibt es noch Ingmar Fröhlich. Leider kann er heute nicht hier sein. Ingmar ist 28 und hat einen Doppel-Master-Abschluss in Elektrotechnik und Technology Management der TU Hamburg. Er ist unser Techniker im Team und hat den Hut in der Entwicklung auf.
SW: Woher kennt ihr euch?
- Die drei Gründer von StomAware:
Ingmar, Patrick und Jan Hendrik
PR: Ingmar und ich kannten uns vor dem Projekt noch nicht, er wurde mir von Jan vorgestellt, nachdem wir beide das Projekt gestartet hatten. Wir waren erst zu zweit und haben dann gemerkt, dass wir im technischen Bereich noch einige Defizite haben. Da brauchten wir noch jemanden, der diesen Part übernehmen kann.
JHT: Und so hat sich das irgendwie entwickelt. Aus ersten Diskussionen wurde Zusammenarbeit und aus Zusammenarbeit ist irgendwann ein Team geworden. So kann man es eigentlich ganz gut zusammenfassen.
SW: Ihr habt ein eigenes Produkt entwickelt und plant ein eigenes Unternehmen zu gründen. Um was geht es dabei?
PR: Unser Produkt ist ein Sensor, den wir außen an einen Stomabeutel anbringen und der den Füllstand des Beutels misst. Die Idee dahinter ist, dass der Träger oder die Pflegeperson darüber informiert wird, wie voll der Beutel ist und dadurch rechtzeitig reagieren kann.
JHT: Ein diskreter Vibrationsalarm oder Hinweis in einer App auf dem Smartphone zeigt an, dass der Beutel voll ist.
SW: Welches Ziel verfolgt ihr damit?
JHT: Im Grunde wollen wir damit die Lebensqualität verbessern. Für alle Stomaträger*innen, die noch nicht so routiniert sind. Oder für Krebs-Patienten, wenn bei der Chemo- oder Strahlentherapie die Stuhlfrequenz oft höher ist und der Beutel unerwartet schnell vollläuft. Oder einfach nur um nachts ruhiger schlafen zu können ohne Angst, dass der Beutel überläuft bevor man wacht wird.
Auf der anderen Seite wollen wir die Pflegekräfte entlasten. Es kann durchaus sein, dass man in ein Zimmer kommt und sieht, dass sich der Beutel gefüllt hat. Der Patient konnte sich vielleicht selbst nicht melden und der Beutel ist ab. Das verursacht drei Probleme: Einmal ist das ein Hygiene-Problem, dann ein Problem des Arbeitsaufwands für die Pflege, die ohnehin kaum Zeit hat eine adäquate Versorgung zu gewährleisten und dann ist das natürlich eine riesengroße psychische Belastung für den Patienten.
PR: Der Sensor ist momentan unser Einstieg in den Markt. Langfristig wollen wir noch andere Produkte entwickeln, die den ganzen Umgang mit den Stomabeuteln vereinfachen sollen. Wir können uns z.B. auch eine Ernährungsberatung vorstellen, integriert in der App. Oder weitere Funktionen, die den Umgang mit den Stomabeuteln verbessern und so den aktuellen Stand der Technik auch in die Stomaversorgung bringen.
SW: Der künstliche Darmausgang ist kein Alltagsthema. Wie seid ihr dazu gekommen euch damit zu beschäftigen?
PR: Das hört sich merkwürdig an, aber tatsächlich wurde das Problem von keinem aus unserem Team erkannt, sondern von meiner Freundin. Wie Jan ja schon erwähnt hat ist meine Freundin eine Kollegin von ihm, sie haben ihre Ausbildung zusammen in Heidelberg gemacht. Sie hat mir davon erzählt als in einer ihrer Schichten ein Stomabeutel übergelaufen ist. Da müsse man doch irgendwas machen können, um zu messen, wie voll der Beutel ist.Ich habe mir dann darüber Gedanken gemacht und in meiner Naivität geglaubt, dass das ja nicht so schwer sein kann. Ich hatte dann erste Ideen, hab‘ dann auch ein bisschen rumgebastelt und probiert. Irgendwann habe ich dann Jan angesprochen und ihn mit ins Boot geholt. Er hat mir bestätigt, dass er das Problem auch schon hatte.
In der Summer School letzten Jahres, eine vom Gründungsbüro der TU Kaiserslautern organisierten Woche für Startup-Ideen, hatten wir dann an einen Intensiv-Workshop teilgenommen. Dort haben wir an der Idee gearbeitet und sind dann auch auf die jetzige Technologie gekommen.
SW: Wie haben eure Familien und euer Freundeskreis darauf reagiert, dass ihr euch ausgerechnet so ein Thema ausgesucht habt? Konnten sie damit etwas anfangen?
JHT: Jetzt muss ich gestehen, dass mein Freundeskreis zu fünfzig Prozent aus Pflegekräften besteht. Meine Eltern sind auch beide in der Pflege, entsprechend wurde das Problem auch schnell verstanden und die Idee als sehr positiv wahrgenommen.
Freunden, die jetzt nicht mit der Thematik vertraut sind, musste ich natürlich erst einmal erklären was ein Stoma überhaupt ist. Aber auch sie haben den Sinn recht schnell verstanden, vor allem den sozialen Aspekt. Dass man nicht möchte, dass so ein Beutel abplatzt, ist fast selbsterklärend.
PR: In meinem Freundeskreis und Familie war das Thema gar nicht bekannt. Wenn kein Stomaträger im nahen Bekanntenkreis oder in der Familie ist, dann fehlt einfach das Wissen über solche Probleme allgemein. Mein engster Freundeskreis weiß mittlerweile schon um was es geht. Ich werde auch häufig darauf angesprochen, auf des Zeitungsartikels über uns.
JHT: Das ist definitiv so wie das Matratzen-Problem. Wenn man eine Matratze kaufen will sieht man überall Werbung für Matratzen, vorher gar nicht. So ist es jetzt auch bei uns. Wenn man anfängt sich intensiv mit der Thematik auseinander zu setzen, dann sieht man auch wie viele Initiativen es gibt, dass Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird.
SW: Ihr habt schon Preise erhalten, z.B. den ersten Platz im Ideenwettbewerb des Landes Rheinland-Pfalz. Ihr habt euch gegen andere Ideen wie ein forensisches Laser-Scan-System oder einem neuartigen Biomassetrockner durchgesetzt. Was waren die Argumente der Jury, warum seid ihr ausgezeichnet worden?
JHT: Ich denke vor allem da der Nutzen so eindeutig und so groß ist durch ein eigentlich kleines Feature. Der soziale Aspekt war auch ein Punkt.
PR: Viele waren auch überrascht von den Zahlen. Dass es 160.000 Stomaträger in Deutschland gibt, war vielen nicht bewusst.
JHT: Digitalisierung ist auch ein Thema, das mit Jugend verbunden wird. Eines der Jury-Mitglieder fand gut, dass wir gerade den jüngeren Menschen eine Lösung anbieten, die für sie nicht altbacken wirkt oder traditionell ist, sondern modern.
SW: Außer dass ihr euch im Rahmen eurer Unternehmensgründung mit dem Stoma beschäftigt, was habt ihr für euch persönlich noch mitnehmen können?
PR: Das ist eine schwierige Frage. Was mir aufgefallen ist hat jetzt nicht rein mit dem Thema Stomaversorgung zu tun. In der Medizin habe ich Deutschland immer als Vorzeigeland aufgefasst, als eines der am weitesten entwickelten Länder. Aber es gibt da doch noch einige Probleme, die eigentlich nicht sein müssten oder deren Behebung aufgrund von Bürokratien noch nicht so weit sind wie sie sein könnten.
JHT: Medizinprodukte sind oft irgendwie auf Effizienz getrimmt. Die Produkte sind häufig nicht anwenderfreundlich und zu kompliziert, es gibt keine einheitlichen Standards.
PR: Unternehmen versuchen lieber an den Materialien noch 10 Cent zu sparen, um die Beutel günstiger produzieren zu können, als irgendetwas Grundlegendes zu verbessern. Ich meine es ist kein Problem Stomabeutel technologisch so auszustatten, dass sie besser funktionieren, aber die Firmen haben dadurch keinen größeren Gewinn. Das ist eine Sache die ich nicht verstehen möchte und ein Grund warum wir dran bleiben und unsere Ideen weiter entwickeln.
SW: Wie geht es bei euch jetzt weiter, was sind die nächsten Schritte auf eurem Weg zum neuen Produkt?
JHT: Patrick hat vorhin so schön gesagt, in seiner Naivität habe er gedacht das wäre ganz einfach. Es gibt aber noch ganz viele Hürden. Wir haben mit Ingmar zum Glück jemanden im Team, der es schafft mit wenig Ressourcen einen Prototyp zu entwickeln.
Natürlich haben wir schon mit Experten und Stomaträgern gesprochen und wissen, dass da ein Bedarf ist. Diesen müssen wir aber noch mit Zahlen und Fakten belegen, um Unterstützer zu überzeugen, damit wir den Sensor fertig entwickeln und in einer gewissen Stückzahl produzieren können. Dabei sind wir auch auf euch angewiesen, eben auf die Leute, die wirklich betroffen sind und unterschiedliche Versorgungen benutzen, unterschiedliche Bedürfnisse habe. Und die aus dem eigenen Leben sagen können, ich bräuchte sowas. Deshalb haben wir jetzt die Umfrage gestartet und hoffen auf viele Teilnehmer.