Vor gut einem Jahr legte der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Karl-Josef Laumann den Entwurf des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) vor. Trotz der durch Ausschreibungen verursachten menschenunwürdigen Zustände in der Inkontinenz-Versorgung, die in den Monaten zuvor durch die Presse gingen, hielt der Gesetzentwurf an Ausschreibungen fest. Erst auf der Zielgeraden, nur einen Tag vor Verabschiedung im Bundestag, wurde die entscheidende Passage im Gesetz gestrichen. Ein großer Erfolg für alle, die sich gegen die Ausschreibungen eingesetzt haben.
Gestern morgen erreichte uns ein Tweet von Maria Klein-Schmeik, Gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis80/Die Grünen im Bundestag:
Gesundheitsausschuss heute mit Heil- & Hilfsmittelgesetz. Überfällig.Druck hat gewirkt: Ausschreibung sensibler #Hilfsmitteln ausgeschlossen
— Maria Klein-Schmeink (@MariaKlSchmeink) 15. Februar 2017
Was steckt dahinter? Der Gesetzentwurf zum HHVG sah vor, in allen Bereichen der Hilfsmittelversorgung Ausschreibungen zuzulassen. Bei einer Ausschreibung vergibt die Krankenkasse einen Versorgungsauftrag exklusiv an den Partner, der die Versorgung zum niedrigsten Preis anbietet.
Wie das genau funktioniert hat die KKH gerade in der ersten Ausschreibung für Stomaträger vorgemacht. Die Krankenkasse konnte die monatliche Pauschale für die Stomaversorgung ihrer Versicherten teilweise deutlich reduzieren. Auf der anderen Seite verlieren die Stomaträger ihr Wahlrecht und bekommen vorgeschrieben, wer sie betreut und von wem sie ihre Stomabeutel beziehen müssen. Die Befürchtung war groß, dass sich mit den niedrigeren Pauschalen auch die Qualität der Versorgung deutlich verschlechtert. So wie wir es in der Inkontinenz-Versorgung bereits seit Jahren erleben.
Welche Versorgungen das genau sind, wurde bereits 2009 in einer gemeinsamen Empfehlung vom GKV-Spitzenverband festgelegt. Darin genannt sind Hilfsmittel-Versorgungen mit einem hohen Dienstleistungsanteil wie einer intensiven persönlichen Anleitung in der Benutzung der Hilfsmittel oder einer patientennahen Versorgung mit kurzer Reaktionszeit. All das ist bei der Stoma-Versorgung der Fall. Hilfsmittel zur Stomaversorgung sind eben keine Ware von der Stange, in die man höchstens noch mit Hilfe einer Schablone ein Loch hinein schneiden muss.
Trotzdem, durch die drei Worte "in der Regel" konnten faktisch in allen Hilfsmittel-Bereichen Ausschreibungen durchgeführt werden. Damit ist jetzt Schluss, die entscheidenden drei Worte werden aus dem Gesetzt gestrichen. Martina Stamm-Fibich von der SPD und Mitglied im Gesundheitsausschuss, kommentierte diese Entscheidung heute im Bundestag so:
Das Gesetz regelt jetzt wichtige Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung in der Hilfsmittelversorgung [...] Besonders hervorzuheben ist, das individuell angefertigte Hilfsmittel und Hilfsmittel mit einem sehr hohen Dienstleistungsanteil künftig nicht mehr von den Krankenkassen ausgeschrieben werden dürfen. Menschen mit einem künstlichen Darmausgang und andere Patienten, die Hilfsmittel mit einem hohen Dienstleistungsanteil benötigen, dürfen nicht durch Ausschreibungen mit ständig wechselnden Produkten oder Leistungserbringern konfrontiert werden. Betroffene brauchen in hoch-sensiblen Situationen vertrauensvolle und verlässliche Hilfe.
Mit der heutigen Abstimmung im Bundestag ist das HHVG beschlossen und soll in vielen Teilen bereits im März in Kraft treten.
Vielen Dank an alle Selbsthilfeorganisationen, Internet-Initiativen, einzelnen Betroffenen, Pflegenden, Branchenverbänden und allen anderen, die in den vergangenen Monaten mit Politikern diskutiert, sie auf unsere Bedürfnisse aufmerksam gemacht und sich gegen die Ausschreibungen engagiert haben. Gemeinsam haben wir dieses wirklich großartige Ergebnis erreicht :)
Quelle: eigene Recherche
Bildquelle: Bundestag